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© Bild Norbert Wehner

Frühlingsblüten: Über Vertrauen, Glaube und Verletzlichkeit in Krisenzeiten

von Linda Myoki Lehrhaupt

Während ich an meinem Schreibtisch sitze, fällt mein Blick auf die Vase mit Pflaumen- und Pfirsichblütenzweigen auf meinem Altar vor dem großen Fenster mit Blick auf die Felder unseres Landhauses im Südwesten Frankreichs. Die Blüten sind kurz davor, sich zu öffnen. Es ist einfach überwältigend. Zum ersten Mal verbringe ich den März hier und habe die Möglichkeit, die Natur zu beobachten, wie sie aus dem Winterschlaf erwacht und wie der Frühling Einzug hält.

Überall sprießen die ersten Blüten, die Vögel singen und fliegen von Baum zu Baum und bauen Nester in den Sträuchern. Gestern hörte ich die Frösche im Teich, die lautstark mit ihrem Paarungsritual begannen. Was ich anfangs noch als angenehm empfand, wurde im Laufe des Tages dann doch sehr lärmend. Doch ich versuche, den Geräuschen des Frühlingserwachens nichts entgegenzusetzen. Es ist der Ruf der Natur. Er gehört zum Leben in dieser Jahreszeit.

Der Frühling trägt das Versprechen von Freude, Hoffnung und Inspiration in sich. Dieses Versprechen geht auch in einer dunklen Zeit wie der jetzigen nicht verloren. Ich schreibe diese Zeilen im April 2022. In der Ukraine herrscht Krieg. Wir beklagen Tausende von Toten. In dieser unruhigen und bedrohlichen Zeit bringt der Frühling mit seiner wiedererwachenden Lebenskraft Qualitäten mit sich, die wir gerade jetzt so dringend brauchen.

Die erste dieser Qualitäten ist das Vertrauen. Vertrauen verkörpert sich in den unzähligen Frühlingsblüten, die sich unter den Sonnenstrahlen öffnen. Es ist fast so, als würden sie rufen: „Es ist an der Zeit!“ Sobald sich ihre Knospen öffnen, gibt es kein Zögern oder Zurückweichen mehr. Sie lassen sich ganz auf diesen Prozess ein.

Die zweite Qualität ist die Verletzlichkeit. Das Aufbrechen der neuen Triebe und Blüten ist mit großer Unsicherheit verbunden. Im letzten Jahr kam ein strenger Frost und alle Blüten erfroren. In der Folge gab es nur wenige Früchte zur Erntezeit. Neben dem Vertrauen in die Wärme der Sonne gibt es also immer auch die Gefahr des Frostes. Und doch öffnen sich die Blüten. Jedes Jahr aufs Neue, seit Beginn des Lebens auf der Erde. Das Gleiche gilt ebenso für das menschliche Leben. Wir leben als Menschen mit der Verletzlichkeit, die unser Leben ausmacht.

Die Sozialwissenschaftlerin Bréne Brown sagte hierzu in einem Interview mit Krista Tippett:

„Verwundbarkeit ist Mut. Es geht um die Bereitschaft, sich in unserem Leben zu zeigen und gesehen zu werden.“

Diese Momente, in denen wir uns zeigen, sind für mich die stärksten Momente unseres Lebens. Und auch wenn es schmerzhaft ist, so zeigen diese Momente, wer wir wirklich sind.

Die sich öffnenden Blüten wissen nicht, ob sie von der Sonne gewärmt oder vom eisigen Wind heimgesucht werden. Auch wir wissen nicht, was die Zukunft mit sich bringt, ob sie gut zu uns sein wird oder ob sie uns mit Schwierigkeiten und Gefahren konfrontiert.

Der Glaube ist die dritte Qualität im Prozess der Entfaltung des Frühlings. Die buddhistische Lehrerin Sharon Salzburg schrieb in ihrem Buch Faith: Trusting Your Own Deepest Experience:

„Der Glaube ermöglicht es uns, trotz unserer Angst so nah wie möglich an die Wahrheit des gegenwärtigen Augenblicks heranzukommen, damit wir uns ihm mit ganzem Herzen hingeben können. In unserem Leben gibt es viel zu planen, zu arrangieren und zu erhoffen. Der Glaube ermöglicht es uns, dass wir ganz bei der Sache sind und zugleich erkennen, dass wir den Ausgang der Ereignisse mit keiner noch so guten Strategie kontrollieren können. Der Glaube stattet uns mit der Bereitschaft aus, uns ganz auf das Leben einzulassen und damit auch auf das Unbekannte und nicht davor zurückzuschrecken.“

Sharon schrieb auch über den Ursprung des Wortes Mut, dessen Energie sich im Frühling als treibende Kraft des Erblühens und Gedeihens ausdrückt. Das englische Wort "courage" hat die gleiche etymologische Wurzel wie das französische Wort "coeur", das "Herz" bedeutet. Mutig zu sein heißt für Sharon, vertrauensvoll mit offenem Herzen zu leben. Zu erkennen, was wir nicht kontrollieren können, weise Entscheidungen darüber zu treffen, was wir beeinflussen können und sich auf das Ungewisse jedes neuen Augenblicks einlassen.

Was Sharon schrieb, erinnerte mich an die ersten Zeilen des sogenannten Gelassenheitsgebetes, das auf den Theologen Reinhold Niebuhr zurückgeht:

„Gott, gib mir die Gelassenheit, die Dinge zu akzeptieren,
die ich nicht ändern kann,
den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

Dieses Zitat sah ich zum ersten Mal vor 46 Jahren auf einem kleinen Holzschild im Schlafzimmer meiner Mutter. Nachdem ich es gelesen hatte, fragte ich mich: "Was bedeuten diese Worte für meine Mutter?" Wir waren keine religiöse Familie. Wenn ich heute daran zurückdenke, dann rühren mich die Worte zu Tränen. Denn ich las sie, als ich am Sterbebett meiner Mutter saß. Sie war mit 62 Jahren an Krebs erkrankt. Und ich, die ich noch jung und voller Tatendrang war, war fest entschlossen, sie vor dem Tod zu retten. Ich recherchierte alle möglichen Heilungsmethoden und verbrachte ganze Nächte damit, Nachforschungen anzustellen. Einmal wollte ich meine kranke Mutter sogar in ein Flugzeug nach Japan setzen, weil es dort eine erfolgversprechende Heilungsmethode gegen Brustkrebs gab. Doch jedes Mal, wenn ich etwas vorschlug, sagte meine Mutter nur sanft: "Nein, Liebes. Ich tue, was der Arzt sagt. Es ist genug. Ich habe kein Problem damit."

Sie war mit ihrer Entscheidung zufrieden. Ich nicht. Ich war voller Angst und wollte meine Mutter nicht verlieren. Und konnte es doch nicht verhindern. Ihr Verhalten erschien mir damals als schwach und passiv. Heute weiß ich, dass es wahrer Mut im Angesicht des Unausweichlichen war.

Im Zen gibt es eine Geschichte von Lingyun Zhiqin (Reiun Shigon), eines Schülers von Guishan Lingyou, in der sich für mich die Qualitäten von Vertrauen und Verletzlichkeit am Eindrücklichsten zeigen. Lingyun Zhiqin hatte dreißig Jahre lang Zen praktiziert. Als er eines Tages in den Bergen unterwegs war, erblickte er bei seiner Rast blühende Pfirsichbäume. In diesem Moment, so heißt es in der Überlieferung, erlebte er ein tiefes Erwachen. Aus Dankbarkeit schrieb er das folgende Gedicht und schenkte es seinem Meister Guishan.

Dreißig Jahre lang habe ich nach dem Schwert gesucht.
Wie oft sind die Blätter gefallen und neue Knospen erschienen? Doch seit ich die Pfirsichblüten sah,
habe ich bis heute nie wieder gezweifelt.

Okumura Roshi, ein zeitgenössischer Zen-Meister und Dogen-Gelehrter, weist darauf hin, dass sich Lingyun in seinen Zeilen auf die Geschichte eines Kriegers bezieht, der auf einem Boot fahrend sein Schwert verlor. Er markierte die Seite des Bootes, auf der das Schwert ins Wasser gefallen war. Auf die Frage hin, weshalb er dies tue, antwortete der Schwertkämpfer, damit er das Schwert an der richtigen Stelle suchen könne, wenn er mit dem Boot zurück an Land sei.

Ähnlich vergeblich hatte auch Lingyun dreißig Jahre lang gesucht, denn er hatte in all dieser Zeit nicht erkannt, dass der Weg genau da war, wo er gerade lief, also da, wo die Blüten blühen, die Blätter fallen, die Knospen sprießen.

Die Worte von Lingyun hätten ebenso von mir stammen können. Ich begann mit der Zen- Praxis einige Monate nach dem Tod meiner Mutter. Das Buch "Der Schneeleopard" von Peter Matthiessen brachte mich auf die Spur. Zusammen mit dem Biologen George Schaller war er in den Himalaya gereist, um das Verhalten des Blauschafs zu erforschen und dabei vielleicht auch einen Blick auf den seltenen Schneeleoparden zu erhaschen. Das brachte etwas in mir zum Klingen. Denn auch ich, so spürte ich, hatte mich viele Jahre durch dunkle und raue Landschaften gekämpft, um ein fernes Ziel zu erreichen. Wie oft habe ich dabei gesehen, wie die Blätter fallen und die Äste der Bäume brechen? Wie oft habe ich den Wechsel der Jahreszeiten miterlebt, den Frühling, den Sommer, den Herbst und den Winter? Lingyun schrieb, dass er alle Zweifel verlor, als er die Pfirsichblüten erblickte. Welche Art von Zweifel meinte er damit? Ist es die Art von Selbstzweifel, die mich so lange verfolgt hatte, nachdem ich vergeblich versucht hatte, meine Mutter vor dem Tod zu retten? Ist es der Zweifel, der mich trotz Schmerzen und Unruhe doch immer wieder auf das Kissen im Meditationszentrum zwang, weil dies der einzige Ort war, an dem ich mich wirklich zuhause fühlte?

Ich schreibe diese Zeilen Anfang April 2022. In Europa herrschen Angst und Verzweiflung aufgrund des Krieges zwischen Russland und der Ukraine. Die Menschen erleben ein Gefühl der Verwundbarkeit, das sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt haben. In Deutschland, dem Land, in dem ich seit über 40 Jahren lebe, ergab eine kürzlich durchgeführte Studie, dass nur mehr 16 % der Bevölkerung hoffnungsvoll in die Zukunft blickt. Das ist der niedrigste Wert seit dem Zweiten Weltkrieg.

Als Reaktion auf die Ukraine-Krise hat Deutschland 100 Milliarden Euro für den Wiederaufbau des Militärs bereitgestellt - mit Unterstützung der Grünen, einer Partei, die zuvor für ihre Forderung nach Entmilitarisierung bekannt war. Außerdem wird darüber gesprochen, die Atomreaktoren, die vor Jahren abgeschaltet worden waren, wieder hochzufahren (Deutschland ist zu 45 % von Russlands Gas und Öl abhängig und die Preise sind in schockierende Höhen gestiegen). Ich weiß nicht, was angesichts dieser Situation die richtige Vorgehensweise ist. Doch ich weiß, dass von Angst erzeugte Kurzschlussreaktionen nur noch mehr Angst erzeugen.

Gleichzeitig gibt es in ganz Europa eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft und des Mitgefühls. Wir erleben gerade eine der größten Solidaritätsbekundungen in der Geschichte

Europas. Bürgerinnen und Bürger aus der ganzen Welt fahren an die ukrainische Grenze, um Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen oder sie bei der Flucht zu unterstützen. Mein Nachbar stellt 30 geflüchteten Menschen aus der Ukraine sein Haus zur Verfügung, das er eigentlich umbauen wollte, bis diese eine dauerhafte Unterkunft gefunden haben. Eine Stiftung in Polen, die von der verstorbenen Zen-Lehrerin Malgosia Braunek Roshi gegründet wurde, sammelt Spenden und kauft davon medizinische Hilfsgüter, um sie an Krankenhäuser in der Ukraine zu schicken. Dies sind nur zwei von Tausenden von Beispielen, wie Menschen und Organisationen ihre Arme und Herzen öffnen, um den Menschen Schutz zu bieten.

Die Angst ist groß vor dem, was passieren könnte, wenn Russland beschließt, seine Nuklearwaffen einzusetzen. Als ich davon in den Nachrichten hörte, erinnerte ich mich umgehend an meine eigene Erfahrung einer nuklearen Katastrophe, als 1979 der Reaktor von Three-Mile Island in Pennsylvania teilweise zusammenbrach. Der Atomreaktor stand weniger als 100 Meilen von meinem Wohnort in New York City entfernt. Ich arbeitete damals im 24. Stock des Time-Life-Gebäudes. Ein Teil von mir wollte umgehend aus dem Gebäude rennen, meine Tochter holen und nach Kanada flüchten. Ein anderer Teil in mir aber wusste, dass auch dies nichts bringen würde, vor allem dann, wenn der Wind in diese Richtung wehen würde. "Was soll ich nur tun?" fragte ich mich damals unablässig.

Heute leben viele von uns mit der gleichen ängstlichen Frage: Was sollen wir tun? Und daraus entwickelt sich eine noch tiefergehende Frage: Was sollen wir tun, wenn wir nicht wissen, was wir tun sollen?

Die Drei Grundsätze der Zen-Peacemaker, die von Bernie Glassman Roshi formuliert wurden, bieten einen Rahmen, um diese Frage ehrlich und mit Herz zu erforschen:

„Es gibt drei Grundprinzipien des Peacemaker-Ordens. Das erste Prinzip ist das Nichtwissen - der Zustand des Nichtwissens geht mit dem Loslassen von festen Vorstellungen einher. Das zweite ist, Zeugnis abzulegen und sich ganz auf die Situation einzulassen, in der man sich gerade befindet. Und das dritte Prinzip ist, aus der Zeugenschaft heraus aktiv zu werden und sich selbst und andere zu heilen.“

Wendy Egyoku Roshi, die in der Dharma-Nachfolge von Glassman Roshi steht und im Zen- Zentrum von Los Angeles lehrt, beschreibt das Zeugnisablegen folgendermaßen:

„Wir erkennen die Verbundenheit unseres Lebens an und üben uns im Zuhören ohne zu urteilen. Die wichtigste Eigenschaft dabei ist das Nicht-Urteilen: Wir bewerten nicht, wählen nicht aus und bestehen nicht auf unseren eigenen Meinungen, sondern sind offen und bereit zu lernen. Wir halten in jedem neuen Augenblick aktiv inne und nehmen alles, was auftaucht ohne zu beurteilen an. Wir erkennen, dass jede Situation viele verschiedene Facetten hat und akzeptieren diese. Auf diese Weise sind wir in inniger Verbundenheit mit den Freuden und Leiden der anderen.“

Wenn wir mit den Augen von Lingyun sehen lernen, wenn wir den Mut aufbringen, von dem Bérne Brown spricht, wenn wir den Glauben stärken, den Sharon Salzburg fordert, wenn wir also bereit sind, uns auf das einzulassen, was ist, dann legen wir Zeugnis ab und verkörpern ein Vertrauen, das nicht an Bedingungen geknüpft ist. Das ist alles andere als einfach. Und es genügt auch nicht, darüber nur zu reden. Ich praktiziere Zen seit 43 Jahren. Und erlebe immer wieder das, was ein Dharma-Bruder vor vielen Jahren einmal zu mir sagte: "Ich fange gerade erst an, einen Geschmack davon zu bekommen.“

Die Praxis des Zazens (die Sitzmeditation im Zen) ist die Verkörperung des Zeugnisablegens: Zazen auf dem Kissen und Zazen beim Gehen, Zazen beim Atmen, Riechen, Schmecken und Berühren in unserem täglichen Leben. Roshi Joan Halifax, die Gründerin des Upaya Zen Center, schreibt über die Zen-Praxis:

„Zen bedeutet, ganz bei den Dingen zu sein, so wie sie sind. Sich nicht von irgendetwas abzuwenden, sondern Zeugnis abzulegen, von dem, was ist. Das ist es, was Roshi Bernie forderte. Achtsam zu sein in allen Dingen des täglichen Lebens, von Augenblick zu Augenblick. Im Grunde genommen sind wir das, was wir tun. Wir ruhen klar, warm und einfach im alles umfassenden Feld des Gewahrseins, während sich jeder Moment neu entfaltet. Frei wie eine Wolke, fließend wie Wasser, still und aufrecht wie ein Berg.“

Und doch werden wir immer wieder von Angst und Ärger überwältigt. Ich selbst kenne das nur zu gut. Vor kurzem habe ich mich über etwas sehr geärgert, dass mich und mein Gerechtigkeitsgefühl verletzte. Ich war wütend, ich war ängstlich - und ich wollte Vergeltung. Aber anstatt das nach außen zu tragen (was nicht angemessen gewesen wäre) entschied ich mich, mit dem Schmerz zu sitzen und ihn durch mich hindurchfließen zu lassen. Das war nicht leicht. Aber die Übung, auf diese Weise Zeugnis abzulegen, half mir dabei, meinen eigenen Schmerz zuzulassen, die Situation zu bewältigen und verantwortlich mit ihr umzugehen.

Ich habe gelesen, dass einige der besten Mediatoren Quäker sind. Sie arbeiten seit mehr als drei Jahrhunderten an den schwierigsten Orten der Welt, schreibt Stephen Mehta,

"...von der Kolonisierung Nordamerikas über den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und den Krimkrieg bis hin zum nigerianischen Bürgerkrieg, der Unabhängigkeit Simbabwes und den Konflikten, die heute in den Schlagzeilen sind. Ihre Arbeit findet größtenteils hinter den Kulissen statt und es wird oft nicht darüber berichtet."

Sie sind offenbar dazu in der Lage, die Komplexität der Konfliktparteien zu erfassen. Kürzlich hörte ich einen dieser Mediatoren sagen, wie wichtig es sei, niemals Partei zu ergreifen, da ihm sonst niemand mehr vertrauen würde. Diese Art der Konfliktlösung, die Aspekte des Vertrauens, der Hoffnung und des Zeugnisablegens beinhaltet, öffnet neuen Raum in einem Feld von Spannungen.

Letztlich war es das Loslassen meiner Überzeugungen, dass meine Mutter doch etwas tun müsse, um den Krebs zu besiegen, das einen friedvollen und heilsamen Raum in mir und für uns beide öffnete. Am Ende ihres Lebens konnte sie nur noch Apfelmus essen. Und so saß ich bei ihr und führte den Löffel viele Male an ihren Mund. Jedes Mal, wenn sie den Mund öffnete und etwas davon schluckte, war mir, als würde ich einen Segen von ihr empfangen. Das Leben verlangsamte seinen Rhythmus, während ich bei ihr saß. Ich verlor zunehmend mein Zeitgefühl. Und meinen Ehrgeiz. Was jetzt von mir verlangt wurde, war nichts anderes als ganz anwesend zu sein. Und ihr dabei Löffel für Löffel den Apfelmus zu reichen. Jedes Schlucken ihrerseits war Ausdruck von Vertrauen, Glaube und Bezeugen. Es war eine bedingungslose Liebe, die meine Offenheit für ihre Bedürfnisse erforderte. Ich erlebte einen tiefen Frieden, den ich bis dahin nicht gekannt hatte.

Wenn ich von Glauben spreche, dann meine ich damit kein blindes Vertrauen. Es geht nicht darum, sich abzuwenden und so zu tun, als ob alles gut wäre. Es ist vielmehr ein Glaube, der sich darin zeigt, völlig präsent zu sein, ohne eigene Wünsche und Vorstellungen durchsetzen zu wollen. Ein Glaube, der uns Zeugnis ablegen lässt: zu sehen, hören, berühren, schmecken und riechen. Ein Glaube, in der wir Zeugnis ablegen von den Worten des Herz-Sutra, der Lehre der Großen Befreiung. Es ist das Vertrauen, mit dem wir ukrainischen Geflüchteten die Hand reichen, wenn sie zu uns kommen. Wir kümmern uns um das, was nun getan werden muss, Schritt für Schritt, Löffel für Löffel.

Ich freue mich über Kommentare. Ihr könnt mich gerne kontaktieren und ich werde so bald wie möglich antworten: LindaLehrhaupt@aol.com)

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